Wenn es in Überlegungen, wie man Elisabeth Ahnert und Marianne Brandt zusammenbringen könnte, beginnt und darin endet, stattdessen einen Weltrekord aufzustellen….
Die Arbeit zum Notenband verbindet die rohe Materialität bergmännischer Arbeit mit der filigranen Tradition des Klöppelns. Beides ist tief verankert im Erzgebirge. Sichtbare Spuren des Machens und die bewusste Irritation klassischer Formen spiegeln die Entstehung kultureller Identität aus Kraft, Wandel und Weitergabe. Das Steigerlied steht dabei exemplarisch für eine lebendige Tradition, die nicht nur bewahrt, sondern fortgeschrieben wird.
Tradition ist kein Zustand sondern ein Prozess.
Was heute als überliefert gilt, war zu einem früheren Zeitpunkt mutige Neuerung. Es wurde getragen von Menschen, die an Orten neu anfingen, die neue Techniken entwickelten oder vorhandene anpassten, Formen weitergaben, experimentierten. Andere Menschen folgten ihnen und trugen es durch die Zeit.
Das Steigerlied, heute immaterielles Weltkulturerbe, steht exemplarisch für diese Dynamik. Entstanden im Kontext des Bergbaus wurde es angepasst und weitergetragen, über Generationen und Landschaften hinweg durch gelebte und geteilte Erfahrungen und weit über regionale Grenzen hinweg übernommen.
Auch die Klöppelkunst ist Ausdruck einer solchen Bewegung. Geklöppelt wurde bereits im 16. Jahrhundert in Italien. Vermutlich von dort verbreitete sich die Technik über andere europäische Regionen wie Spanien und die Niederlande und fand auch im Erzgebirge ein neues Zentrum.
In der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesen Themen entstand eine Verbindung zwischen Material, Geschichte und Körper. Das rohe, schwere Trägermaterial verweist auf die harte körperliche Arbeit unter Tage, auf Schwere, Druck, Spannung, Reibung und die zähe Kraft der Ausdauer der Bergarbeiter.
Auch in der Umsetzung der Klöppelspitze selbst liegt ein Teil dieser Schwere: kein vollkommen glattes Ornament sondern ein von Hand errungener Prozess, in dem sich Kraft, Widerstand, Konzentration und Zufall begegnen. Spuren des Machens bleiben sichtbar. Gerade darin entsteht ein Brückenschlag zwischen der rauen Welt des Bergbaus und der filigranen Klöppeltechnik. Im Erzgebirge gehören sie untrennbar zusammen, nicht nur historisch. Feinheit entsteht hier nicht nur aus Zartheit sondern auch aus Härte.
Die künstlerische Gestaltung des Notenbandes greift diesen Zusammenhang auf. Zwischen Grobheit und Detail, zwischen Last und Linie entsteht eine visuelle Übersetzung der musikalischen und kulturellen Tiefe, die das kulturelle Erbe des Erzgebirges bis heute in die Welt trägt. Ein offenes Ende symbolisiert, dass die Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben ist, der tiefste aller Töne ohne Schallplatte, dass die Ursprünge nicht in ihrer Gänze sichtbar sind.
Das gleichförmige Muster zieht sich durch als visuelle Referenz an monotone Arbeitsrhythmen, wie sie unter Tage genauso herrschten wie am Klöppelsack. Und vielleicht weht auch ein Hauch der erzgebirgischen Sage mit: „Dos hammer schu ega esu gemacht, das muss a esu bleim.“

Der Bergbau im Erzgebirge war nie Idylle. Er war Arbeit unter der Erde, ohne Licht, ohne Sicherheit. Schicht für Schicht, Gang für Gang – durch Fels, Wasser, Stille und gleichzeitig auch Lärm. Er war Risiko und Verheißung zugleich.
Mit dem ersten „Berggeschrey“ 1168 begann ein kultureller und sozialer Umbruch. Die Aussicht auf Silber lockte Menschen aus allen Richtungen: aus dem Harz, aus Böhmen, Tirol, Schwaben und anderswo. Sie brachten Wissen mit in Geologie, Wasserkraft, Metallurgie und Organisation. Was sie verband, war der Wille, im Verborgenen etwas zu finden, das das Leben an der Oberfläche veränderte.
Die Grubenwelt war streng geregelt. Das „Gezähe“ war Eigentum und Verantwortung, das Beten vor Schichtbeginn keine Geste, sondern Überlebensstruktur. Unten war jeder gleich: Herkunft, Sprache oder Stand traten zurück hinter Kameradschaft, Präzision und Schweigen. Der Berg forderte alles und ließ manches und manchen nicht mehr zurückkehren.
Doch der Bergbau formte weit mehr als den Untergrund. Er prägte Sprache, Kultur, Glauben und Arbeitsrhythmus. Aus dem Dunkel kamen Lieder, Bräuche, die Sehnsucht nach dem Licht.
Als die Erze versiegten, blieb die Haltung. Das, was heute als typisch „erzgebirgisch“ gilt – handwerkliche Präzision, Gemeinschaftsgefühl, Ausdauer – entstand aus dieser rauen Tiefe heraus. Der Übergang zur Holzkunst, zum Klöppeln, zur Spielzeugherstellung war kein Bruch, sondern ein Weiterarbeiten in neuer Form.
Heute erinnern alte Stollen, Bergparaden und das Steigerlied an diese Vergangenheit. Sie bilden das Fundament der Erzgebirger. Denn wer einmal unter Tage war, denkt anders über das, was über Tage geschieht.

Die Wurzeln des Klöppelns reichen weit zurück und fußen vermutlich in verschiedenen Techniken. In Klöstern entstanden z.B. im 14. Jahrhundert aufwendig gearbeitete Netz- und Durchbrucharbeiten wie reticello oder tela tirata, mit denen Nonnen liturgische Textilien verzierten – oft figürlich, immer handgeführt und ohne Klöppelbrief. Auch diese frühen Bildgewebe legten den Grundstein für eine jahrhundertealte Technik.
Im 16. Jahrhundert wandelte sich die Formensprache. Klöppelspitze im engeren Sinn wurde entwickelt, geometrisch geplant und technisiert durch Klöppelbriefe. Das Musterbuch Le Pompe, 1557 in Venedig erschienen, markiert dabei einen Wendepunkt und verbreitete sich über Flandern, Spanien und Frankreich bis in deutsche Regionen. Auch im Erzgebirge entwickelte sich das Handwerk früh zu einem bedeutenden Erwerbszweig, befördert durch überregionale Handelskontakte und kulturellen Austausch in Zeiten des Bergbaus.
Barbara Uthmann, die Annaberger Unternehmerin des 16. Jahrhunderts, wird bis heute mit der regionalen Klöppeltradition in Verbindung gebracht. Gesichert ist ihr Wirken als Bortenhändlerin – ihre genaue Rolle als Begründerin bleibt jedoch ein wenig im Nebel.
Was hingegen dokumentiert ist: In Schneeberg wurde im 19. Jahrhundert die erste staatliche Klöppelschule gegründet. Hier wurde das Handwerk nicht nur weitergegeben, sondern bewusst ausgebildet, standardisiert und in seiner gestalterischen Qualität weiterentwickelt.
Die Schriftstellerin Louise Otto-Peters hielt die soziale Kehrseite dieser Entwicklung u.a. in ihrem Gedicht „Klöpplerinnen“ fest. Eine dichte Momentaufnahme weiblicher Geduld, Fingerarbeit und bitterer Armut.
Heute gilt das Erzgebirge weiterhin als eine der führenden Klöppelregionen Europas. Auch andernorts lebt die Kunst und ist mit dem Erzgebirge im Dialog: in Rauma (Finnland), Idrija (Slowenien), Brügge, England, Spanien u.a.

Handarbeit im Erzgebirge ist ein Kind stets wechselnder Bedingungen, vom ersten „Berggeschrey“ 1168 bis zur Laserfräse von heute. Die Silberfunde zogen Bergleute, Händler und Fachleute aus fernen Revieren an. Sie brachten Fertigkeiten, Werkzeuge und Bräuche mit, die sich vor Ort mit einheimischem Wissen verschränkten.
Als die Erze spärlicher wurden, suchten ganze Familien nach neuen Erwerbsquellen. Der üppige Wald, lange Winter und die finanzielle Not der Bergleute ließen ein Nebengewerbe wachsen, das bald eigenständig wurde: Drechseln, Reifendrehen, Schnitzen, Spanbaumstechen und Laubsägearbeiten. Zunächst als reine Überlebensstrategien, später Exportschlager.
Die Arbeitsteilung verfeinerte sich binnen weniger Generationen zur hochspezialisierten Heimarbeit: Reifendreher formten Rohlinge, Schnitzer gaben ihnen Kontur, Maler setzten Farbschichten, Kinder packten fertige Miniaturen in Spanschachteln. Die minutiöse Präzision, die das Klöppeln bereits vermittelt hatte, prägte auch die Spielzeug-, Bürsten- und Posamentenindustrie.
Das Ergebnis ist ein breites Handwerkscluster, das die UNESCO 2025 als immaterielles Kulturerbe anerkannte. Reifendrehen und Spanbaumstechen gelten heute als Alleinstellungsmerkmal und der Nussknacker, Schwibbogen und Engel und Bergmann verhelfen der regionalen Identität zu weltweiter Sichtbarkeit.
Doch nichts bleibt statisch: Werke, einst feinsäuberlich per Hand geschnitten, entstehen inzwischen häufig auf CO2-Laseranlagen, die filigrane Schwibbögen millimetergenau aus Sperrholz brennen. Einige Werkstätten werben explizit damit, weiterhin von Hand zu sägen. Gleichzeitig entstehen neue Ideen und moderne Interpretationen traditioneller Motive. Ein Hinweis, dass Innovation und Traditionsbewusstsein im Erzgebirge eher Dialog als Gegensatz ist.
Die Kunstlandschaft des Erzgebirges erfindet sich also aus einer doppelten Notwendigkeit immer wieder neu: ökonomischer Druck zwingt zur Kreativität, kultureller Austausch liefert Impulse. Was heute als „Tradition“ gilt, war einst radikale Neuerung – eine Erkenntnis, die den Mythos der einen, unveränderlichen Volkskunst produktiv relativiert.
Das Steigerlied
Das Steigerlied ist mehr als ein Lied. Es ist Klang gewordene Erinnerung – an Arbeit, an Stolz, an Gemeinschaft unter Tage, an Zusammenhalt und Heimat. Es erzählt von der Hoffnung, dass sich das Gestein auftut. Und davon dass man einander braucht, um heil wieder ans Licht zu kommen.
Sein Ursprung liegt vermutlich im 16. oder frühen 17. Jahrhundert im Umfeld des erzgebirgischen Montanwesens. Es wurde nicht komponiert, sondern getragen.Von Stimme zu Stimme, von Revier zu Revier. Mit jeder Region veränderte es sich leicht: mal eine Strophe mehr, mal ein anderer Tonfall. So wurde es zum verbindenden Element zwischen den deutschen Bergbauregionen: im Erzgebirge ebenso wie im Harz, im Ruhrgebiet oder im Saarland.
Es ist ein Lied der Arbeit und ein Lied der Würde. Gesungen wurde es zu vielen Anlässen: zum Schichtbeginn, bei Beerdigungen und zu Festen. Es war nie bloß Begleitung, sondern ist bis heute Teil der Identität. Ein gesungenes „Wir“.
Doch es war nie allein auf das Erzgebirge beschränkt. Der kulturelle Austausch im Bergbau war immer Regionen verbindend: Techniken, Fachbegriffe, Bräuche und eben auch Lieder wanderten mit den Menschen. Das Steigerlied wurde so auch in anderen montanen Regionen aufgenommen und zu einem Teil der jeweiligen Identitäten.
Heute wird es hier vor allem als Hymne des erzgebirgischen Bergbaus verstanden. Und doch ist es auch ein Lied, das Menschen miteinander verbindet, die sich oft nie begegnet sind. In einem Klang vereint, der vom Dunkel erzählt und von der Hoffnung auf Licht.
Herausforderungen:
Es musste ein optisch filigranes Muster verwendet werden, dass jedoch den äußeren Anforderungen von mehrfachem Transport und Handling auch durch andere Hände relativ verzugsfest entgegenstehen kann. Alle musikalischen Bestandteile mussten als modulares System versetzbar bleiben für die Anpassung an 5 Einzelbänder und sind somit als Applikation optisch sichtbar provisorisch angebracht.
Des Weiteren war es notwendig, eine Partitur zu finden, die möglichst wenig Notenwerte unterhalb oder oberhalb enthält (geprüft durch Stadt Ehrenfriedersdorf).
Das hohe Gewicht des bestückten Klöppelsackes schlug sich sowohl im Handling (weiterdrehen alle 20-25 cm) als auch auf dessen eigene Stabilität nieder. Auch bedeutete es einen enorm hohen körperlichen Kraftaufwand aufgrund der rauen Oberflächenschaffenheit des Materials. Jeder einzelne Faden musste nach jedem einzelnen Schlag mit Kraft straff gezogen werden.
Veränderte Erfordernisse eines Bandes am Stück statt 5 kurzen Einzelbändern (ursprüngliche Planung):
Die ursprünglich geplante Ausführung von 5 kürzeren Einzelbändern à 9-10 m von vornherein wurde bereits früh zugunsten des Rekordversuches verworfen. Stattdessen wurde das Band in einem einzigen durchgehenden Stück realisiert, welches nach der Präsentation auf 5 Einzelbänder zerteilt werden sollte. Dies bedeutete einerseits zusätzliche Länge, um genug Material für die spätere Umarbeitung einfließen zu lassen – statt 45-50 m nun eigentlich sogar ca. 65 m, welche dann im Nachgang auf die aktuelle Präsentationsfläche von 62,85 m wieder gekürzt wurden. Auch erforderte die Umstellung zum einem einen erheblichen logistischen Mehraufwand insbesondere durch Materialgewicht, Handling und Notwendigkeit einer durchgehenden Arbeitsstruktur ohne modulare Teilung des reinen Notenbandes, so dass dieses sich verändernden Erfordernissen angepasst werden kann.
Hinzu kam der veränderte Präsentationskontext an sich. Statt der ursprünglich vorgesehenen Nahbetrachtung erfolgt nun kurzfristig die Rezeption aus größerer Entfernung. Dies hat Auswirkung auf die gestalterische Wirkung, insbesondere auf Kontraste, war das Werk durch die Nähe doch ursprünglich in monochromen Weiß gedacht in Anlehnung an die klassisch monochrom geklöppelten Spitzenborten. Bei bereits bestehenden Teilen war nun eine nachträgliche Anpassung nur noch bedingt möglich.
Ein Rekord verbunden mit einem Werk, das Traditionen zusammenführt, die das Erzgebirge geprägt haben wie kaum etwas anderes.
Bergbau, Musik und Klöppelspitze – Ausdruck von Kraft und Feinheit, von Tiefe und Geduld. Drei kulturelle Linien, die aus derselben Landschaft stammen, durchaus gemeinsam gedacht, aber selten in einem Werk miteinander verwoben wurden.
Freie Kunst ist Resonanzraum und Reflexionsfläche. Sie entzieht sich festgelegten Funktionen, öffnet neue Sichtachsen und schafft Räume, in denen Vielfalt nicht behauptet, sondern erfahrbar wird. In ihrem offenen, unabhängigen Prozess liegt ihr gesellschaftliches Potenzial: Sie ermöglicht Begegnung, hinterfragt Konventionen und bringt zum Ausdruck, was im Alltag oft leider in bleibt.
Gerade dort, wo Traditionen stark codiert sind, kann freie Kunst neue Lesarten ermöglichen – nicht im Widerspruch zur Geschichte, sondern als Weiterführung. Wenn kulturelles Erbe nicht nur bewahrt, sondern neu gedacht wird, entstehen Formen, die verbinden: Vergangenheit, Gegenwart, Perspektive.
Das geklöppelte Steigerlied steht exemplarisch für diesen Ansatz. Es bringt historische Linien in einer Form zusammen, die nicht illustriert, sondern eigenständig reflektiert. In der Übertragung von Musik in Textil verdichten sich Geschichte, Material und Geste zu einem Erzählraum, der nicht abgeschlossen, sondern offen bleibt.
So zeigt sich, wie freie Kunst auch jenseits institutioneller Rahmen wirkt. Und gerade dadurch unverzichtbar bleibt.
Zu sehen ab sofort auf dem Sauberg in Ehrenfriedersdorf
Ein hErzliches Dankeschön an alle, die diese Idee mit entwickelt und mitgetragen haben – mit offenen Ohren, wachen Augen und dem Mut, Neues zuzulassen. An die Fördernden, die Organisationstalente im Hintergrund und an alle, die in „modernem Zeich“ nicht den Bruch sondern die Weiterführung der Geschichte sehen. Ohne euch wäre dieser Faden nicht ins Drehen und Kreuzen gekommen.
Glück auf! ⚒️